Project „Geworfenheit/Thrownness“

Writings/Schriften

Project "Geworfenheit/Thrownness"


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Projekt "Geworfenheit"

 

Normalerweise arbeite ich ja bekannterweise auf Plexiglasplatten, um auf modernistische Art und Weise die einzelnen Gattungsgrenzen zu überwinden. Das Wesen der einzelnen Gattungen aufzuzeigen (Malerei, Skulptur, Photographie usw.) war ja eines der Hauptmerkmale des Modernismus. Als Modernist, der sich postmodern versteht, aber in neueren Werken diese Arbeitsweise zugunsten der Narration langsam hinter sich lässt, musste ich mich fragen, inwieweit ich mich von dieser Arbeitsweise verabschieden wollte. Am Ende kam ich zu der Lösung, die Transparenz des Trägermediums gegen die Transparenz der Farbe einzutauschen.

Einerseits rekurriere ich mit dem Projekt „Geworfenheit“ auf die „Added Art“, zu der auch Robert Rauschenberg´s „Erased de Kooning drawing“ gezählt wird, andererseits beziehe ich mich mit dem Titel auf die wortwörtliche Bedeutung des Wortes als auch auf den philosophischen Begriff der „Geworfenheit“ als Urgrund des Daseins und eines „Immer-schon-in-der Welt-Seins“ bei Heidegger. Wobei meine Art der „Added Art“ nur temporär und damit ereignishaft ist, was auch zur Philosophie Heideggers passt. In dem Moment, in welchem die Farbe als Geworfenes „in der Welt“ ist, greift die ganze Gravitas der Welt und wirkt auf sie ein. Hier spiele ich auf die Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit des Daseins an, wobei meine Absicht im Projekt „Geworfenheit“ war, diesen Übergang von Uneigentlichkeit zur Eigentlichkeit herauszuarbeiten.

Am Ende geht es mir in „Geworfenheit“ auch um einen Moment, in welchem wir uns unserer Sterblichkeit/Vergänglichkeit bewusst werden. Die milchige Farbe wird mit der Zeit transparent und ist sowohl als Geworfenes ein Ereignis als auch als Transparent-Werdendes ein Symbol für diese Ereignishaftigkeit selbst. Um mit Heideggers Terminologie zu antworten: als transparent-werdende Farbe ist sie im Werden zuhanden und erstarrt zu etwas Vorhandenem, wenn sie vollständig getrocknet ist und transparent wird. Das ist der Tod als letzter Schritt, den wir alle gehen müssen. Wenn wir sterben, nehmen wir unseren Platz im Sediment der Geschichte ein. Manchmal ragen wir noch Jahre, Jahrzehnte, gar Jahrhunderte aus dem Sediment der Geschichte heraus. Ein andermal wiederum werden wir von nachkommendem Sediment verdeckt und geraten in Vergessenheit, in der Hoffnung, dass (auf Foucault zurückgreifend) eine Archäolog:in des Wissens und der Erinnerung uns wiederentdeckt. Als solches verdeckt meiner Meinung nach eigentliches Leben nichts, Eigentlichkeit nimmt nichts weg, sondern macht sichtbar. Und bleibt doch seltsam rätselhaft. Deshalb habe ich auch mein eigenes Werk verdeckt, da ich mich nicht aus dieser ganzen Gleichung herausnehmen möchte.

Die Verdeckung ist auch als eine extreme Form der Idee des „Todes des Autors“ bei Roland Barthes zu denken, wobei die Temporalität der Verdeckung diese extreme Form mit der Zeit wieder zurücknimmt. Erst in der Verdeckung wird Verdecktes auffällig als Abhandenes, Abhanden-Gekommenes. Dass die transparente Farbe mit der Zeit die dahinterliegenden Kunstwerke wieder freigibt, hat etwas von einer Sofortbildkamera, in der die Bilder wie bei einer Polaroid zum Vorschein kommen.

Mit der temporären Löschung möchte ich aktuellerweise auch auf die Wichtigkeit der Kunst und der Kultur aufmerksam machen. All die Kulturerzeugnisse (unabhängig davon, ob hohe Kunst oder auch Unterhaltungskultur im Sinne von Netflix-Filmen oder Fußballspielen) sind elementar für das gesellschaftliche Miteinander. Dass dann unsere künstlerische Arbeit während der Pandemie ins Hintertreffen geraten ist, ist umso schmerzlicher. Deshalb ist das temporäre Vorenthalten der Kunst auch als Protest und Kritik zu sehen. Am Ende der Transparent-Werdung meiner Arbeit ist die transparente Farbe auch eine Art Schutzschicht. Ich solidarisiere mich mit meinen Künstlerkolleg:innen. Und stelle mich und stehe, so wie es andere Künstler:innen auch tun würden, solidarisch zu ihnen. Das gesamte Werk ist ja auch ein gemeinsames Werk.

Überhaupt auch kritisch zu sein und eine Krise anzudeuten, ist ein Teil dieses Werkes. Dass die Farbe mit der Zeit transparent wird, ist auch wichtig für die Unterscheidung zwischen den Begriffen der „Provokation“ und der „Krise“. Ich möchte die Betrachter:in in eine „Krise“ stürzen. Es geht hier um die etymologische Bedeutung des Begriffes „Krise“, d.h. ich weise auf eine Entscheidung hin, die jede:r selbst treffen muss. Darin zeigt sich auch der Übergang von einem Leben in Uneigentlichkeit und Eigentlichkeit. Eine „Provokation“ in etymologischer Bedeutung fordert zu einer (unbedachten) Handlung auf…

„Black Milk“ wiederum handelt u.a. von der Zerrissenheit im Dasein: schwarze Tränen, die Ausdruck einer Melancholie sind, die in uns waltet. Manchmal hilft es, wenn auch negative Dinge zum Ausdruck gebracht werden. Dadurch können die Betrachter:innen sich auch aktuellerweise wiederfinden und sind nicht alleine in ihrer Melancholie.

„Sagittarius“ ist eine (dunkle) Symbolisierung der Uneigentlichkeit im Übergang zur Eigentlichkeit, in welchem ein Charakter als feste Eigenschaft beschrieben wird, deren inhaltliche Beschreibung aber die festgelegten Charaktereigenschaften konterkariert.

„Vincent (The shroom sessions)“ gibt zwar eine individuelle Alternative als Antwort, die ich aber eben nicht als eine allgemeingültige Antwort sehe, sondern als eine Narration unter vielen anderen und möglichen Narrationen. Davon zeugen ja auch die Werke der anderen sehr geschätzten Künstler:innen…

All diese meine Werke und die Titel derselben zeugen auch davon, dass ich einen einfachen Gedanken nehme, dessen Komplexiität aufzeige und durch „Cross-Referenciality“ noch weiter anreichere, so dass Querverbindungen und eine große Anzahl von Assoziationen entstehen können. Wenn man einmal den Rahmen der Gattungsgrenzen gesprengt hat, ist inhaltlich kein Halten mehr. So möchte ich meinen Beitrag zum Verständnis der Postmoderne verstanden wissen.

Überhaupt die Grenzen zu sprengen ist ein Akt der Befreiung. Als Befreiung ereignet und aktualisiert sich Freiheit. Es geht darum, Freiheit zu leben und davor zu bewahren, dass sie erstarrt und sich ins Gegenteil verkehrt. Ein befreites Leben ist ein Leben i.S. eines eigentlichen Lebens, das immer wieder selbst bestimmt und verantwortet wird…

Bei all diesen Arbeiten geht es mir wie immer nicht darum, eine Antwort zu geben, wie man leben soll (das wäre dann ein Leben i.S. der Uneigentlichkeit), sondern darum, dass die Frage nach dem Wie eines Lebens immer einer individuelle Antwort und Verantwortung (ein Leben i.S. der Eigentlichkeit) erfordert…

Die Frage nach dem Wie eines Lebens, eines mündigen Lebens, stellt sich für jede Generation von Neuem. Hier klingt für mich, nietzscheanisch gesprochen, „die ewige Wiederkehr des Immergleichen“ an. Wobei ich hoffe, dass wir als Menschheit im Unterschied dazu spiralförmig fortschreiten und emporsteigen, anstatt in einem Teufelskreis zu enden.

 

Frankfurt am Main, 25.12.2020

 

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Project "Geworfenheit/Thrownness"

 

Normally, as is well known, I work on Plexiglas plates in order to overcome the individual genre boundaries in a modernist way. To show the essence of the individual genres (painting, sculpture, photography, etc.) was one of the main characteristics of modernism. As a modernist who sees himself as postmodern, but slowly leaving this way of working behind in favor of narration in more recent works, I had to ask myself to what extent I wanted to say goodbye to this way of working. In the end, I came up with the solution of exchanging the transparency of the carrier medium for the transparency of the color.

On the one hand, with the project “Thrownness/Geworfenheit” I am referring to the “Added Art”, which also includes Robert Rauschenberg's “Erased de Kooning drawing”, and on the other hand I refer to the literal meaning of the word as well as Heideggers philosophical concept of “thrownness” as the basis of existence and of “Immer-schon-in-der-Welt-sein”. Whereby my kind of "added art" is only temporary and therefore eventful, which also fits with Heidegger's philosophy. At the moment when the color is “in the world” as something thrown, the whole gravitas of the world engages and acts on it. Here I allude to the “Uneigentlichkeit”/inauthenticity and “Eigentlichkeit”/authenticity of existence, whereby my intention in the project “Thrownness” was to work out this transition from inauthenticity to authenticity.
In the end, “Thrownness” is also about a moment in which we become aware of our mortality/impermanence. The milky color becomes transparent over time and is both an event when thrown and as something that becomes transparent, a symbol of this eventuality itself. To answer with Heidegger's terminology: as a color that becomes transparent, it is in the process of becoming and solidifies into something that is present when it is completely dry and becomes transparent. This is death as the last step that we must all take. When we die, we take our place in the sediment of history. Sometimes we stick out of the sediment of history for years, decades, even centuries. At other times, we are covered by the sediment that follows and are forgotten, in the hope that (going back to Foucault) an archaeologist of knowledge and memory will rediscover us. As such, in my opinion, real life does not cover anything, authenticity does not take anything away, but makes it visible. And yet it remains strangely puzzling. That's why I covered my own work as well, because I don't want to get out of this whole equation.

The concealment can also be thought of as an extreme form of the idea of the “death of the author” in Roland Barthes' work, whereby the temporality of the concealment takes this extreme form back again over time. Only when concealed, the concealed becomes conspicuous as something lost, something that has been lost. The fact that the transparent color releases the concealed works of art over time has something of an instant camera, in which the images emerge like a Polaroid.

With the temporary deletion, I would also like to draw attention to the importance of art and culture. All the cultural products (regardless of whether high art or entertainment in the sense of Netflix films or football games) are elementary for social interaction. That our artistic work then fell behind during the pandemic is all the more painful. That is why the temporary withholding of art can also be seen as a protest and criticism. At the end, my work becoming transparent, the transparent color is also a kind of protective layer. I show my solidarity with my fellow artists. And put myself and stand, as other artists would do, in solidarity with them. That is the way I understand it as a joint work.

Being critical at all and hinting at a crisis is part of this work. The fact that the color becomes transparent over time is also important for the distinction between the terms “provocation” and “crisis”. I want the viewer to plunge into a “crisis”. It is about the etymological meaning of the term "crisis", i.e. I am pointing out a decision that everyone must make for themselves. This also shows the transition from a life into inauthenticity and authenticity. A "provocation" in etymological meaning calls for an (thoughtless) action...

“Black Milk”, on the other hand, acts i.a. of the turmoil in existence: black tears that are an expression of a melancholy that reigns in us. Sometimes it helps if negative things are also expressed. As a result, the viewers can also find themselves in these works and are not alone in their melancholy.

“Sagittarius” is a (dark) symbolization of inauthenticity in the transition to authenticity, in which a character is described with fixed properties, but the description of the content contradicts the established character properties.

“Vincent (The shroom sessions)” gives an individual alternative as an answer, but I don't see it as a general answer, but as one narration among many other and possible narratives. The works of the other highly esteemed artists also testify to this very idea...

All of these works of mine and their titles also show that I am taking a simple thought, showing its complexity and enriching it with "cross-referentiality" so that a large number of associations can arise. Once you have gone beyond the scope of the genre boundaries, there is no stopping the content. That is how I would like to see my contribution to understanding postmodernism.

To push the boundaries at all is an act of liberation. Freedom occurs and is actualized as liberation. It's about living freedom and keeping it from solidifying and turning into its opposite. A liberated life is a life in the form of “Eigentlichkeit” that is always determined and responsible for itself ...

In all of this work, as always, my aim is not to give an answer about how one should live (that would then be a life in the sense of inauthenticity), but rather that the question of how a life requires always an individual answer and responsibility (a life in the sense of authenticity)...

The question of how a life, a mature life, arises anew for every generation. For me, in Nietzschean terms, this sounds like “the eternal return of the same thing”. I hope that we as humanity, in contrast, progress and ascend in a spiral rather than ending up in a vicious circle.

 

Frankfurt/Main, December 25th 2020

 

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